Aus gegebenem Anlass möchte ich ein paar Worte zum Thema „nachhaltige Logistik“ sagen.
Die Kombination aus „Nachhaltigkeit“ und „Logistik“ ist doch recht weit verbreitet. Google liefert immerhin fast 62.000 Hits für die deutsche Kombination, rund 521.000 für das englische Pendant „Sustainable Logistics“. Bei beiden Sprachen sind die Synonyme wie „green logistics“ usw. noch nicht mitgezählt.
Es gibt an Universitäten Lehrstühle, die sich der nachhaltigen Logistik verschrieben haben, und es gibt auch zahlreiche Lehrveranstaltungen zu dem Thema. Ich selbst biete einen Kurs an mit dem Namen „Nachhaltigkeit und nachhaltige Logistik“.
Und doch würde ich gerne mal festhalten: Nachhaltige Logistik ist Augenwischerei. Es ist eine Nebelgranate, mit welcher das wichtige Thema Nachhaltigkeit, das einerseits ein Megatrend ist, andererseits aber auch ein beliebtes Buzzword, gemolken wird. Ich glaube, allgemein gibt es nur wenige Themen, zu welchen so viel unnützes Zeug geschrieben und gesagt wird, wie zu Nachhaltigkeit – vielleicht noch KI, aber dann wird’s schon dünn.
Aber zurück zu meiner Behauptung: Nachhaltige Logistik ist Augenwischerei. Ich möchte sie kurz begründen.
Bei Verbesserungsinitiativen und Systemoptimierungen jeglicher Art müssen wir uns stets zwei Fragen stellen:
- Was hat den größten Einfluss auf das Ergebnis, für das wir uns interessieren?
- Was ist Ursache und was ist Wirkung?
Reden wir zunächst mal über die zweite Frage: Was ist Ursache und was ist Wirkung?
Ursache und Wirkung
Viele Phänomene, die wir beobachten und als Probleme betrachten, sind nur die Symptome zugrundeliegender Probleme. Zusätzlich gibt es zwischen Ursache und Wirkung häufig einen erheblichen zeitlichen Versatz, welcher die Identifikation der Ursache zu einer beobachteten Wirkung erschwert. Vermutlich gibt es nichts, was unser Lernen so erschwert wie die zeitliche Verzögerung zwischen Ursache und Wirkung.
Dazu kommt, dass es auch nicht nur „die“ Ursache für eine Wirkung gibt, sondern wir einerseits für die meisten Ursachen wiederum zugrundeliegende Ursachen finden können – es also eine Hierarchie von Ursachen gibt – und andererseits es häufig mehr als eine Ursache für eine Wirkung selbst auf der gleichen Ebene gibt, es also multikausale Wirkungszusammenhänge gibt.
Und hier ist das Ding: Die Logistik steht ganz am Ende einer langen und vielfach verzweigten Kausalkette; vielleicht sollte man hier schon von einem Kausalnetzwerk sprechen. Der Aufwand, den wir in der Logistik mit Transport und Lagerung betreiben, ist ein Symptom, eine Wirkung einer Vielzahl zugrundeliegender Ursachen und Entscheidungen, die anderswo und lange vorher außerhalb der Logistik getroffen worden. Die Logistik reagiert also viel mehr als dass sie agiert. Sie ist die abhängige Variable, nicht die unabhängige. Entsprechend kann man „nachhaltige Logistik“ als das Herumdoktern an Symptomen beschreiben.
Was hat den größten Einfluss aufs Ergebnis?
Die andere wichtige Frage in der Systemoptimierung ist, welche Variable den größten Einfluss aufs Ergebnis hat. Was ist der Engpass? Was lohnt sich zu verbessern und was hat nur marginalen Einfluss?
Und auch hier ist es so, dass die Hebel, die wir in der Logistik haben, recht kurz sind. Es macht einen viel größeren Unterschied, ob ich etwas transportieren und lagern muss oder nicht, als WIE genau ich es transportiere und lagere. Wir sollten unsere geistige Kapazität vor allem dafür einsetzen herauszufinden, wie wir Transporte und Lagerung vermeiden können, statt sie effizienter zu machen. Auch bekannt als: Wenn wir einen Scheißprozess effizient machen, haben wir einen effizienten Scheißprozess. Schaut man sich z.B. die Anzahl der Retouren an, die es im Online-Handel gibt, und was mit den Retouren nach der Rücksendung häufig passiert, stellt man fest, dass es möglicherweise nebensächlich ist, ob man den Kram mit Diesel-LKW oder Lastenrad transportiert.
Und was ist überhaupt nachhaltig?
Eine andere Frage, die weitaus schwieriger zu beantworten ist, betrifft die Nachhaltigkeit selbst: Was ist eigentlich nachhaltig und was ist nachhaltige Logistik? Einer der Schwierigkeiten an dieser Frage ist, dass es in der Nachhaltigkeit eine Menge Zielkonflikte gibt. Zum einen gibt es häufig Konflikte zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Zielen. Zum anderen gibt es aber auch Zielkonflikte innerhalb jeder dieser drei Kategorien. Maßnahmen, die dem Klimaschutz zuträglich sind, können negative Auswirkungen als andere ökologische Aspekte haben. Kunststoff ist z.B. ein recht leichtes Material; eine dünne Plastiktüte wiegt fast nichts. Ihre Produktion ist günstig und der CO2-Austoß der Produktion ist gering. Aber sie landet eben doch häufig in der Natur, sehr häufig im Meer, wo Wildtiere an ihr zugrunde gehen. Ein Karton oder eine Papiertüte benötigen mehr Energie und mehr Wasser in der Produktion und sie sind schwerer, benötigen also mehr Energie im Transport. Dafür landen sie nicht im Magen von Meerestieren. Dies ist nur ein Beispiel, stellvertretend die große Menge an Zielkonflikten innerhalb der ökologischen Kategorie der Nachhaltigkeit.
Die falsche Kompetenz fürs falsche Thema
Wenn ich mir dann anschaue, welche Leute mit welchen Qualifikationen über Nachhaltigkeit im Allgemeinen und über nachhaltige Logistik im Speziellen sprechen, ist die mildeste der noch angemessenen Reaktionen ein Abwinken. Es fühlen sich Heerscharen von Leuten (insbesondere Akademiker, natürlich) dazu berufen, über das (sehr komplizierte und multidimensionale) Thema der Nachhaltigkeit zu sprechen, denen die minimalen Grundlagen im Verständnis von Nachhaltigkeit fehlen. Und bei nachhaltiger Logistik wird dann das unzureichende Verständnis von Nachhaltigkeit irgendeiner logistischen Funktion übergestülpt (zumeist Transport). Das Ergebnis ist dann absehbar im höchsten Maße oberflächlich und trivial und dreht sich häufig um Lastenräder, e-LKW, und ähnlichen Klamauk, der am Kern der Probleme komplett vorbeigeht, kein Problem löst und logistisch und wirtschaftlich in aller Regel unsinnig und ökologisch im besten Fall neutral ist.
Milking Political Correctness for a Living
Die herausragende mediale Präsenz des Klimawandels, seine politische Priorisierung, seine quasi-religiöse Aura und seine Nutzung als praktische Entscheidungshilfe zur Einordnung von Individuen und Organisationen in politische Lager und/oder rivalisierende Stämme erzeugt für viele Individuen selbstverständlich erhebliche Anreize, sich das Thema auf die Fahnen zu schreiben. Betroffen davon sind, wie so häufig, im großen Maße Berufs-Akademiker, die zum Einwerben staatlicher Mittel stets jedem Trend hinterherlaufen müssen, der von ihrer jeweiligen Landesregierung als wichtiges Forschungsfeld ausgegeben wird. Selbst abseits der Notwendigkeit, Geldtöpfe anzuzapfen, möchte man natürlich gerne hervorheben, dass man zu “den Guten” TM gehört. Kaum ein Thema eignet sich besser dazu. Und natürlich möchte man etwas Wichtiges zu sagen haben, was man mit ernster Miene (aber ohne konkrete sinnvolle Lösungen) seinen Studenten oder Kollegen vortragen kann – natürlich umso mehr, je weniger Wichtiges und Anspruchsvolles man in Wirklichkeit zu sagen hat. Und so landet das Thema häufig bei denen, die am wenigsten Ahnung haben.
Studenten schreiben (in bester Absicht und mit ehrlichem Interesse) dann ihre Abschlussarbeit über “irgendwas mit Nachhaltigkeit” — und nahezu immer drehen die Themen sich um einen einzigen Aspekt, nämlich CO2-Einsparung. Nicht, dass das Thema unwichtig wäre, aber eine Optimierung eines einzelnen Aspekts bei einem multi-dimensionalen Problemfeld mit zahllosen Zielkonflikten (= der Nachhaltigkeit) ist prinzipiell keine gute Idee. Dabei werden sie von Leuten betreut, die ganz eindeutig keine Experten für irgendeinen Aspekt der Nachhaltigkeit sind, sondern stattdessen für Maschinenbau, Tribologie, Logistik, Wirtschaft,… und sich der Komplexität des Themas noch nicht einmal bewusst sind. Und während normalerweise die Maßgabe gilt, dass man Experte für Themen sein sollte, die man in seinen Abschlussarbeiten betreut, scheint es diese Restriktion bei allem, was mit Nachhaltigkeit zu tun hat, nicht zu geben.
Die eindimensionale Fokussierung treibt nicht nur Akademiker an. Plötzlich kommen ganz viele ansonsten unauffällige und seriöse Produktionsbetriebe auf die Idee, den CO2-Austoß über den Lebenszyklus einer Antriebswelle oder einer Bratpfanne berechnen zu wollen (und delegieren diese Aufgaben wiederum gerne an Studenten für ihre Abschlussarbeiten). Teilweise sind solche Ideen politisch induziert (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, EU-Lieferkettengesetz…), teilweise Marketing-Initiativen zuzuordnen. In nahezu allen Fällen interessiert das Ergebnis natürlich niemanden ernsthaft, weshalb man sich mit der Pseudogenauigkeit irgendwelcher Berechnungen mit LCA-Tools unter wildesten Annahmen zufriedengibt.
Was nicht heißt…
… dass es in der Logistik nichts zu verbessern gibt. In den eindeutigen Fällen ohne Zielkonflikte sind Verbesserungen ökologischer Aspekte aber nahezu immer eng verbunden mit ökonomischen Einsparungen. Das ist z.B. dort der Fall, wo wir Verschwendung vermeiden. Verschwendung vermeiden tun wir, wenn wir nicht unnötig Sprit verballern, nicht unnötig Produkte beim Transport kaputt gehen, nicht unnötig viel Material oder Energie in der Fertigung genutzt wird, etc. Diese Dinge würde man jedoch auch gänzlich ohne ökologisches Interesse aus rein ökonomischem Antrieb adressieren und verbessern. Vorzugaukeln, dass man dies aus Umweltschutzgründen tue, ist Heuchlerei. Ein nicht-logistisches Beispiel, das jeder kennt, sind die inzwischen in nahezu allen Hotelzimmern zu findenden Hinweise, dass man doch „zum Schutze der Umwelt“ seine Handtücher ruhig mehrfach verwenden solle. Würde es nicht gleichzeitig auch Kosten sparen, würden wir diesen Hinweis weitaus seltener finden. Das ist Heuchlerei. Und weit verbreitet.
Aber abgesehen von der moralischen Bewertung dieser Art von Maßnahmen lässt sich auch feststellen, dass sie nahezu alle trivial sind. Um festzustellen, dass die Vermeidung von innerdeutscher Luftpost CO2 (und, das ist wohl in Wirklichkeit wichtiger: viel Geld) einspart, wie es die deutsche Post gerade getan hat, braucht es kein Forschungsprojekt.
Wenn man es ernst meint…
Dass Nachhaltigkeit kein Thema für Schwätzer ist, sagte ich bereits. Aber für wen ist es dann? Und wie kann man ernsthaft „die Nachhaltigkeit“ der Logistik – oder allgemeiner und sinnvoller: unserer Lebensführung – verbessern? Der Hebel gibt es viele:
- Menschen reagieren auf Anreize. Die Anreize im Geschäftsleben werden primär durch das zugrundeliegende Geschäftsmodell determiniert. Basiert der ökonomische Erfolg des Unternehmens ausschließlich darauf, möglichst viel Zeug mit möglichst hoher Marge zu verkaufen, ist die durch die ökonomische Logik erzeugte Anreizstruktur nicht kompatibel mit Lippenbekenntnissen auf LinkedIn und dem Bienenstock im Hof. Auch der ganze Bereich Kreislaufwirtschaft gehört zur Frage nach dem Geschäftsmodell.
- Chemie, Physik und Materialwissenschaft spielen eine große Rolle. Wenn wir neue Materialien einsetzen können, welche die gewünschten Eigenschaften der bisherigen Materialien ohne ihre umweltschädlichen oder sozial unverträglichen Nachteile besitzen, gewinne ich viel. Wenn wir die täglich in Millionen Quadratmeter verwendete Stretchfolie zum Einwickeln von Paletten aus einem Material herstellen, dass innerhalb von Monaten vollständig kompostierbar ist, sparen wir tausende Tonnen von Plastikmüll. Die Folie, mit der ich eine Palette Ersatzteile wickele, muss lange halten. Die Folie, mit der ich eine Palette mit Obst & Gemüse sichere, muss maximal einen Tag halten, danach wird die Folie sowieso wieder entfernt. Wieso wir Paletten, die möglicherweise jahrelang auf Lager sein werden, genauso behandeln wie Paletten, die innerhalb von 24h gepackt und wieder entpackt werden, erschließt sich mir nicht. Über das Potential von Stretchfolie habe ich aber noch keine Key Note gehört…
- Cleveres Produktdesign muss Wartung und Reparatur von Produkten erleichtern. Beispiel: Autos. Die politisch induzierte geistlose Jagd nach CO2-Einsparungen bei konstanter oder steigender Leistung geht einerseits notwendigerweise zulasten der Haltbarkeit. Darüber hinaus scheint Reparaturfreundlichkeit keine Position im Lastenheft mehr zu sein. Das ist keine gute Kombination. Hat aber auch wieder mit dem Geschäftsmodell der meisten Automobilunternehmen zu tun sowie mit staatlich induzierten Anreizen: Wenn ich faktisch dafür bestraft werde, wenn ich ein älteres Fahrzeug als Firmenfahrzeug fahre, weil ich bei Privatnutzung stets auf Basis des Bruttoneuwagenpreises besteuert werde, und außerdem der Betrieb im Fall des Verkaufs eines abgeschriebenen Fahrzeugs auch noch für den daraus entstandenen Ertrag besteuert wird, läuft es – natürlich – darauf hinaus, dass (a) Betriebe Fahrzeuge leasen, nicht kaufen, (b) die Haltedauer der Fahrzeuge kurz ist, sodass Reparaturen für die Erstbesitzer keine Rolle spielen, und (c) Fahrzeughersteller ihre Produktentwicklung genau auf diesen Nutzungsfall anpassen und Fahrzeuge bauen, die nach einigen Jahren praktisch nicht mehr wirtschaftlich unterhaltbar sind. Siehe auch Geschäftsmodell.
- Ein anderer Aspekt der Produktentwicklung betrifft die Frage, in welchem Maße ich (z.B. bei langsam drehenden Teilen, wie u.a. vielen Ersatzteilen) die Produktion, den Transport und die Lagerung gewisser Teile durch bedarfsgerechte additive Fertigung (= 3D-Druck) ersetzen kann. Das geht nicht mit einem Stoßdämpfer, aber es geht mit dem Gehäuse des Fahrzeugaußenspiegels. In welchem Maße lassen sich Lager durch Print Shops ersetzen? Es gibt nichts, was mehr zu einer nachhaltigen Logistik beiträgt, als die Vermeidung von Logistik. Aber: siehe Geschäftsmodell.
- Wieso werden eigentlich 50 – 70% der bestellten Bekleidungsartikel zurückgesendet? Die Statistiken zu Retouren sind eindeutig und sagen uns, dass u.a. viele Produkte qualitativ schrottig sind und dass viele Kleidungsstücke nicht passen. Haben wir wirklich keine Möglichkeit, einen 3D-Scan unseres Körpers mit einem 3D-Scan eines Kleidungsstücks zu matchen? (Doch, haben wir, macht aber fast noch keiner). Die Logistik lebt von dem Wahnsinn ganz gut. Der Wahnsinn wird nicht weniger, nur weil wir Zalando-Pakete mit dem Lastenrad durch die Innenstadt fahren. Und so viele arbeitsfähige und gleichzeitig unbeschäftigte Menschen gibt es in vielen westlichen und fernöstlichen Ländern gar nicht, dass wir es uns erlauben könnten, Kleinstmengen mit dem Fahrrad durch die Gegend zu fahren.
- Davon, dass eine funktionierende Bahninfrastruktur helfen würde, Emissionen und andere Nachteile des motorisierten Straßentransports zu vermeiden, müssen wir hier nicht sprechen. Infrastrukturprojekte sind teuer und kompliziert (es werden also schon wieder Experten benötigt. Ich sehe ein Muster…), man kann sich damit auch weitaus weniger der Aura der moralischen Überlegenheit erfreuen, als wenn man der Bevölkerung einfach neue Bürden auferlegt und das Problem damit delegiert und in religiöser Tradition zusätzliche Belastungen mit Verweis auf höhere Kräfte als alternativlos verkauft für den Zugang zum Paradies bzw. eine Welt ohne Klimaerwärmung. Apropos Infrastruktur: Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge? (Haben wir nicht). Grundlastfähige emissionsarme Kraftwerke? (Haben wir nicht mehr).
Die Liste ist natürlich nicht vollständig. Sie ist sehr kurz. Sie ist auch nicht der Kern dieses Artikels, sondern nur ein kurzer Exkurs. Für jeden der genannten Punkte braucht es Experten. Nicht Typen, die reihenweise normative Trivialst-Aussagen in Key Notes oder auf LinkedIn aneinanderhängen.
Abseits der Vermeidung von Verschwendung gibt es keine Lösungen, es gibt nur Trade-offs. Wenn man diese Prämisse akzeptiert, kann man ernsthafte Diskussionen zu Nachhaltigkeit und nachhaltiger Logistik führen. Sonst artet das ganze notwendigerweise in Gelaber aus.
Immer wieder abonniere ich mal einen Nachhaltigkeits-Newsletter (z.B. kürzlich den von der Deutschen Verkehrs-Zeitung, den ich nach acht Wochen wieder abbestellt habe) oder traue mich in eine Konferenzpräsentation, aber die Substanz ist dann so dünn, dass ich es als Zeitverschwendung verbuchen muss und dann wieder für eine Weile sein lasse. Das ist zwar schade, aber eben nicht unerwartet und deshalb vorhersehbar: Wenn man sich auf seinen Fachbereich in der Logistik beschränkt, gibt es nicht mal einen Angriffspunkt für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit, weil die Logistik in den meisten Fällen nur die ausführende Kraft ist, um Entscheidungen, die anderswo getroffen wurden, umzusetzen (siehe Abschnitt „Ursache und Wirkung“). Das ist so, als ob man in der Armee Debatten zum gewaltfreien Umgang mit dem Gegner führt. Die Entscheidung für Krieg wird anderswo getroffen. Und die realen Einflussmöglichkeiten, Gewalt zu vermeiden, sind innerhalb der Streitkräfte sehr begrenzt (siehe Abschnitt „Was hat den größten Einfluss aufs Ergebnis?“).
Also: Was tun?
Was folgt nun daraus für uns Logistiker?
Für mich persönlich folgt daraus, dass ich sämtliche geschäftliche Anfragen zu Beratung zum Thema nachhaltige Logistik bisher freundlich abgelehnt habe. Zwar kostet mich das Geld, aber für Nachhaltigkeits-Theater – und nichts anderes ist es in der Regel – fehlt mir Lust, da kein wesentlicher Effekt erwartbar ist. Lieber kümmere ich mich um logistische Fragestellungen, bei denen der Effekt wesentlich größer ist (und im Nebeneffekt übrigens auch auf die Nachhaltigkeit, wenn Verschwendung vermieden wird). Ich bin aber auch nicht börsennotiert und muss nicht auf inhaltlich belanglose, finanziell jedoch durchaus wirkungsvolle ESG Ratings achten. Noch muss ich meine moralische Überlegenheit online kundtun, um mich dem politischen Lager „der Guten“™ öffentlich zuzuordnen. Das überlasse ich Leuten mit mehr Zeit und weniger Selbstwertgefühl. Deswegen kann ich diese Entscheidung treffen.
Nun kann das nicht jeder. Wer das (als Logistiker) nicht kann, dem möchte ich dringend empfehlen, seinen Blick zu heben und ganz klassisch damit zu beginnen, Verschwendung zu identifizieren und zu vermeiden. Einfach mal durchs Lager gehen und beobachten. Einfach mal eine Kreidekreisübung durchführen. Einfach mal seine Daten auswerten und seine Arbeits- und Gesamtproduktivität bestimmen. Uns allen und der Welt wäre sehr damit gedient, wenn jeder mal seine Aufgaben ordentlich ausführt. Das ist zwar schwerer, als über Nachhaltigkeit zu palavern und sein Firmenlogo grün zu färben und man bekommt vielleicht manchmal auch weniger Aufmerksamkeit ─ um nicht zu sagen, dass ordentlich zu arbeiten, ohne viel Geräusch darüber zu machen, sogar einigermaßen unmodern und gegen den Zeitgeist ist. Es ist aber langfristig alternativlos und damit im höchsten Maße nachhaltig.