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Nachhaltigkeit im Online-Handel: Anmerkungen zur Digitalstudie 2022 der Postbank

Kürzlich wurde die “Digitalstudie 2022” der Postbank zum Thema Online-Shopping vorgestellt, welche verschiedene Aspekte des Online-Bestellverhaltens der Deutschen repräsentativ untersucht. Die Zusammenfassung der Ergebnisse können als Pressemeldung auf den Internetseiten der Postbank eingesehen werden [1] und ist außerdem von zahllosen weiteren Outlets wortwörtlich übernommen worden (es lebe unser Qualitätsjournalismus, der Pressemitteilungen klar kennzeichnet). Schwerpunkt der Studie ist “nachhaltiges Shoppen”; eine Wortkreation, die nur dann kein Widerspruch in sich ist, wenn man Shoppen als etwas anderes versteht als das geistlose Impulskaufen kurzlebiger Modeartikel.

Einige der Ergebnisse und Aussagen der Studie sind durchaus interessant und verdienen ein paar Sekunden unserer Aufmerksamkeit.

Der Artikel beginnt mit einer Aussage zur Akzeptanz der Käufer von Retourenvernichtung: Ein relevantes Thema, das durch Berichte über Amazon und andere Online-Händler, die demnach regelmäßig signifikante Mengen an neuwertigen Produkten verschrottet hätten, auch in der Wahrnehmung der breiten Bevölkerung angekommen ist. “Mehr als 80 Pro­zent der Deut­schen unter­stüt­zen ein Verbot der Re­touren­ver­nich­tung. Online-Händ­ler sollen so zu mehr Nach­haltig­keit an­ge­hal­ten werden.” Diese Erkenntnis ist nicht überraschend, widerspricht doch die Praxis des Zerstörens neuwertiger oder zumindest funktionsfähiger Produkte vieler Menschen Bewusstsein für Anstand und Ethik. 

Jedoch: „Ihr eigenes Kaufverhalten im Internet möchten die befragten Personen allerdings nicht ändern – weder durch einen geringeren Umfang, noch durch vermiedene Retouren.“

Vernichtung von Retouren mag der Kunde nicht, er möchte aber auch die Anzahl der Retouren nicht reduzieren. Kurz: Der Online-Händler möge sich doch bitte etwas überlegen. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass wohl die wenigsten Kunden jemals darüber nachgedacht haben, was die Handhabung von Retouren mit sich zieht. Kleidung – laut HDE in 2021 immerhin fast ein Viertel des gesamten e-com-Volumens in Deutschland [2] – muss auf Verunreinigungen kontrolliert werden, muss womöglich gewaschen und dann gebügelt werden, wird dann wieder zusammengelegt und erneut verpackt, kann danach aber nicht mehr als Neuware verkauft werden, da beim Waschen vieler Kleidungsstücke, insbesondere bei Fast Fashion, mit einem Qualitätsverlust zu rechnen ist. Das ist viel Aufwand für häufig niedrig bepreiste Produkte, bei denen die Arbeits-, Energie- und Verpackungskosten für die Aufarbeitung den Produktwert einfach überschreiten können, zumal hinterher nur noch zu reduziertem Preis verkauft werden kann [3]. Entsprechend entscheiden sich viele Online-Händler – immerhin 55% [4] – dazu, nicht-A-Ware zu vernichten. Wie viele Retouren genau vernichtet werden, lässt sich dabei nicht ermitteln [5]; die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg geht für Deutschland von 4% bzw. 20M Sendungen pro Jahr aus [6]. Laut EHI Retail Institute lag 2018 bei 27% der befragten Online-Händler im Segment Fashion (n=44) die Retourenquote bei bis zu 50% [7]; anekdotisch sind mir Werte von 50 – 70% bekannt. Entsprechend groß die Anzahl er Rücksendungen, die 2018 in Deutschland laut einer Studie der Universität Bamberg bei 280M Paketen mit insgesamt 490M Produkten lag [8] (und vermutlich ist der Wert seitdem nicht gesunken).. Der Wert bezieht sich auf alle Branchen, aber dennoch: Viel Spaß beim Waschen und Bügeln, liebe Online-Händler!

Dass Kunden ihr Bestellverhalten dennoch nicht ändern wollen, ist nachvollziehbar. Ein Großteil der Produkte (das betrifft nun mehr oder weniger ausschließlich Fashion) wird retourniert, weil sie zu groß oder zu klein sind [9]. Wie groß ein Produkt ausfällt, kann man vorher nicht wissen, und auch die manchmal vorhandenen Größentabellen auf den Seiten der Händler bieten höchstens grobe Orientierung. Entsprechend bleibt einem häufig nichts Anderes über, als vom gleichen Produkt mehrere Größen zu bestellen – und dann zwangsläufig die nicht passenden Größen zu retournieren, zumal Rücksendungen innerhalb der EU, insbesondere von Kleidung [10], von der EU gewollt (Richtlinie 2011/83/CE) [11],  ja kostenfrei sind. Die zwei nachfolgend wichtigsten Gründe für Retouren sind defekte Produkte und schlechte Qualität. Alle drei Gründe haben systematische Ursachen, sodass eine signifikante Reduzierung von Retouren in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Das bedeutet übrigens auch, dass keine Innovation in Richtung “nachhaltige Verpackung” oder effiziente “last-mile delivery” jemals zu nachhaltiger Logistik führen wird, da hier nur an Symptomen herumgedoktert wird, das zugrunde liegende, tatsächliche Problem, nämlich die schwer fassbar hohe Zahl an Retouren und deren häufige Vernichtung aus wirtschaftlichen Erwägungen. 

Weiter mit der Studie: „Demnach sieht ein Großteil der Bundesbürger nicht nur die Vernichtung von Rücksendungen kritisch, viele wenden sich auch in anderen Aspekten gegen Verschwendung. So bevorzugen drei Viertel der Deutschen Anbieter, die möglichst wenig oder nachhaltiges Verpackungsmaterial verwenden.“

Es ist erfreulich zu hören, dass ein großer Teil der Kunden nachhaltiges Verpackungsmaterial bevorzugen. Bleibt nur die Frage, was das eigentlich ist. Leider ist die Frage nicht einfach zu beantworten. Wenn die Intention der Kunden ist, CO2 einzusparen, sind sie wohl am besten bedient, ihre Sendungen in Plastikverpackungen mit Plastik-Luftpolstern zu erhalten. Beides ist leichtgewichtig, spart entsprechend Treibstoff und somit CO2 im Transport. Und beides überlebt möglicherweise nicht nur das Produkt, sondern auch die Kunden, bis es auf natürliche Art und Weise verrottet. Wird recycled? Naja… In Deutschland beträgt die Recycling-Quote bei Plastik knapp unter 50% [12] und damit sind wir weltweit in einer führenden Position. Da nicht wenig Plastikmüll exportiert wird, ist es nicht so unwahrscheinlich, dass das Zeug noch einige Jahrzehnte im Meer schwimmt. Im globalen Durchschnitt beträgt laut einer Studie von Roland Berger [13] beträgt die Recycling-Quote von Plastikmüll nur 15%; ca. 10M Tonnen Plastikmüll landen pro Jahr im Meer. Also vielleicht doch lieber nicht das Klima schützen und stattdessen auf Papier und Karton setzen? Ist schwerer, teurer und verursacht höheren CO2-Ausstoß in der Produktion, aber verrottet wenigstens. Wie gesagt.. “nachhaltige Verpackung” ist nicht eindeutig. Tatsächlich ist es deshalb nicht einmal eine hilfreiche Kategorie: wir müssen präziser sagen, was wir eigentlich wollen. Und woher soll der durchschnittliche Kunde das wissen? Zumindest die Fragesteller könnten (lies: sollten) wissen, dass Kunden auf eine Frage nach nachhaltiger Verpackung unmöglich eine sinnvolle Antwort geben können. 

Noch ein letztes Zitat, dieses Mal zur Zustellung von Sendungen: „Immerhin die Hälfte der Befragten wäre bereit, Bestellungen bei einer zentralen Abholstation in der Nähe des Wohnorts abzuholen. Dies wird als nachhaltiger angesehen, als die Ware zu jedem Käufer nach Hause zu bringen.“

In einen Transporter passen durchschnittlich ca. 250 Pakete. Ca. 100 bis 120 Pakete können in einer Schicht ausgeliefert werden. All diese Werte sind natürlich abhängig von Paketmaßen und -gewichten, Verkehrslage, Fahrzeiten zwischen den Kunden… Der Studie nach halten Kunden es für nachhaltiger, dass 120 von ihnen individuell eine Paketstation ansteuern, vielleicht auch mit dem Auto, statt dass ein Fahrer hocheffizient in einem Fahrzeug die Pakete zu 120 Kunden bringt. Der Punkt bedarf wohl keiner weiteren Ausführung.

Was lernen wir also aus der Postbank Digitalstudie 2022 (oder dem, was der Pressetext über die Studie verrät)? Vielleicht dieses: Konsumenten (und vielleicht auch die Postbank als Fragesteller [14]) sind sich der Komplexität des Themas Nachhaltigkeit nicht bewusst und haben offensichtlich eine falsche Wahrnehmung davon, was nachhaltig ist oder nicht. Sie wollen irgendwie, dass irgendwas nachhaltiger wird, wissen aber nicht so richtig, wie das gehen könnte (siehe “nachhaltige Verpackung”) und landen letztendlich bei den falschen Schlussfolgerungen (siehe “Abholung von Paketstation”). Man kann es ihnen nicht vorwerfen, denn das Thema ist schwierig greifbar und hat viele Facetten. 

Bei konstantem Unwissen über Nachhaltigkeit steigt aber gleichzeitig der öffentliche Geräuschpegel zu derselben, was eine sinnvolle Auseinandersetzung mit grundlegenden Problemen schwierig macht. Moralisch aufgeladener, häufig aktivistischer Journalismus gießt währenddessen Öl ins Feuer. 

Was uns bleibt, ist dankbar zu sein dafür, dass wir uns mit diesen Themen überhaupt auseinandersetzen können und dürfen. Während in der Ukraine russische Kriegsverbrecher Bomben auf die Zivilbevölkerung werfen, dürfen wir noch darüber nachdenken, was mit retournierten Elektro- oder Fashion-Artikeln aus asiatischer Sklavenarbeit geschieht. Immerhin. Es ist schön zu sehen, dass der Bevölkerung nicht alles egal ist. 

Quellen und Anmerkungen

[1] https://www.postbank.de/unternehmen/medien/meldungen/2022/juni/online-kaeufer-sprechen-sich-klar-gegen-retourenvernichtung-aus.html. Letzter Zugriff: 2022-06-29

[2] HDE. (4. Mai, 2022). Online-Umsatz nach Branchen in Deutschland im Jahr 2021 (in Milliarden Euro). In Statista. Zugriff am 01. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/717465/umfrage/online-umsatz-nach-branchen-in-deutschland/

[3] EHI Retail Institute. (14. Januar, 2022). Welche sind die größten Kostentreiber im Retourengeschäft? In Statista. Zugriff am 01. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/654464/umfrage/groesste-kostentreiber-bei-retouren-im-onlinehandel/

[4] Internet World Business. (2. Juli, 2018). Was geschieht mit Retouren, die keine A-Ware mehr sind? In Statista. Zugriff am 01. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/876056/umfrage/umgang-mit-retouren-die-keine-a-ware-sind-im-online-handel-in-deutschland/

[5] https://p.dw.com/p/3XMp5, letzter Zugriff: 2022-07-01

[6] https://www.uni-bamberg.de/presse/pm/artikel/retourenvernichtung-asdecker-2019/, letzter Zugriff: 2022-07-01

[7] Internet World Business. (2. Juli, 2018). Wie hoch ist die Retourenquote in Ihrem Unternehmen?. In Statista. Zugriff am 01. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/876085/umfrage/retourenquoten-im-online-handel-nach-branchen-in-deutschland/

[8] Uni Bamberg. (29. Dezember, 2020). Geschätzte Anzahl der Retouren von Paketen und Artikeln in Deutschland in den Jahr 2018 bis 2020 (in Millionen). In Statista. Zugriff am 01. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1082408/umfrage/retouren-von-paketen-und-artikeln-in-deutschland/

[9] KPMG. (16. Dezember, 2021). Aus welchem Grund haben Sie die im Internet bestellte Ware retourniert? In Statista. Zugriff am 01. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1312304/umfrage/gruende-fuer-retouren-in-deutschland/

[10] Conomic. (8. März, 2021). Kostenlose Rücksendungen im E-Commerce in Deutschland nach Sortimentsbereich im Jahr 2020. In Statista. Zugriff am 01. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1221448/umfrage/e-commerce-kostenlose-retouren-nach-branche/

[11] So werden negative Externalitäten zementiert und der Druck von Online-Händlern genommen, weniger schrottige Produkte und bessere Produktangaben zu liefern: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32011L0083, letzter Zugriff: 2022-06-29

[12] Schüler, K. (2020), Aufkommen und Verwertung von Verpackungsabfällen in Deutschland im Jahr 2018, Texte 166/2020, verfügbar online: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/aufkommen-verwertung-von-verpackungsabfaellen-in-13  (letzter Zugriff: 2021-06-21).

[13] Roland Berger GmbH (2020), Packaging Sustainability in the Consumer Goods Sector: Roland Berger Perspectives and Expertise Highlights September 2020, verfügbar online: https://www.rolandberger.com/en/Insights/Publications/Packaging-sustainability-2030.html  (letzter Zugriff: 2021-06-22).

[14] Dafür gendert die Postbank fleißig:’„Die Kund*innen achten mittlerweile in sehr vielen Bereichen auf das Thema Nachhaltigkeit. Das betrifft im Online-Handel insbesondere die Frage nach Verpackungsmüll und ökologischem Versand. Wer als Unternehmen darauf achtet und hier nachhaltig handelt, der wird bei den Verbraucher*innen punkten“, sagt Thomas Brosch, Leiter Digitalvertrieb der Postbank’. Wieso auch nicht? Wer nichts Wichtiges zu sagen hat und nichts Wichtiges tut, kann zumindest gendern, um der Welt zu zeigen, wie moralisch erhaben er ist.